liebe Mitlesende,
Stundenastrologie als Divination - was bedeutet das?
Divination bedeutet so viel "die Götter befragen". Es handelt sich hierbei um die Deutung von Omen oder Zeichen, die erscheinen, spontan oder bewusst herbeigeführt. Die Deutung erfolgt stets im Kontext der Erscheinung und ist nicht per se verallgemeinerbar, wenngleich sie sich auf gewisse Grundmuster beruft. Ähnlich der Bedeutung von Worten, die in unterschiedlichen Kontexten verschiedenes meinen können, jedoch in ihrer Zusammensetzung alle auf dem Prinzip der Buchstaben und Grammatik fußen.
Ich beziehe mich hier vorwiegend auf folgendes Buch von Geoffrey Cornelius: The Moment of Astrology.
Das Buch bezieht sich auf einen grundlegenden Diskurs zwischen der Astrologie in der Tradition von Ptolemäus und dem der Divination.
Bezogen auf die Stundenastrologie führt er aus, dass die Frage bereits eine Intervention und die Einladung zur Veränderung darstellt. In diesem Sinne kann das Stundenhoroskop auch als Grundlage für die nächsten Handlungsschritte ausgelegt werden.
Er verlässt den Rahmen der Subjekt-Objekt-Relation komplett und versteht die Astrologie als Divination, als Omen, das erscheint. Und in diesem Prozess des Erscheinens gehe ich als Person im Kontext auf, wie im Sinne von Heidegger: In der Welt sein. Und diese Erscheinung hat stets ihre Berechtigung, im Kontext der Zeit und des Raumes, innerhalb dessen es einem Individuum als bedeutsames Zeichen erscheint. Er sagt sogar, dass auch Horoskope funktionieren, die nicht auf ein objektives Ereignis beruhen, sondern die lediglich symbolisch gewonnen werden. Dazu zieht er das Horoskop heran, das als Beispielhoroskop von Astrologie-Gegnern in einem Artikel veröffentlicht wurde. Er nimmt dieses Horoskop als Grundlage und berechnet auf Basis der Sekundärprogressionen den weiteren Verlauf der Debatte zwischen den Astrologie-Gegnern und den Astrologen - obwohl dieses Horoskop tatsächlich irgendeines ist. Aber der Kontext seiner Verwendung macht es bedeutsam. Er verlässt damit die Ansicht von Ptolemäus, dass alles einen definitiven "Anfang" braucht. Die Astrologie ist von diesem Dogma sehr besessen, ist es doch auch im Sinne von Aristoteles und dem Stoizismus so gut anschlussfähig an die mechanische Naturwissenschaft und dem Bild, dass der Kosmos ein "Uhrenwerk" ist, dass deterministisch seinen Weg geht und entschlüsselt werden kann.
Diese Sicht ermöglicht auch, das Stundenhoroskop schon als Intervention zu begreifen. Es ist ein Abbild jenes Konstruktes, das ich zeitgleich in mir selbst geschaffen habe und sich mir offenbart. Daher kann ich selbst es auch transzendieren und ändern, übrigens ein Werk, dass die Alchemie zu vollbringen versucht hat. Stichwort: Talismane und Amulette.
- Frage: Geht dies bereits in die Richtung des Konstruktivismus?
Schwierige Frage. Ich würde sagen: Ja und Nein.
Ja, da sich die Bedeutung eines Symbols aus dem konkreten, einmaligen Kontext herausschält und sich als Phänomen zeigt. Das Omen kann in seiner Bedeutung nur innerhalb des Gesamtzusammenhanges verstanden werden, und jemand, der nicht Teil davon ist, hat dazu auch keinen Zugang. Außer, er verschafft sich bewusst dazu Zugang.
Und nein, da der Konstruktivismus (in seiner Extremform) dazu neigt, die willkürlichen Konstruktionen des Individuums als wahr zu nehmen, unabhängig von "Gesetzen" oder "Regeln". Das Omen ist jedoch etwas, das sich selbst offenbart und nicht vom Individuum konstruiert wird. An dieser Stelle wird C.G.Jung mit seinem kollektiven Unbewussten und seinen Archetypen relevant, die einer allzu großen Willkürlichkeit Grenzen setzen. Siehe dazu auch den Vergleich, den ich bereits weiter oben getätigt habe: das Verhältnis zwischen Alphabet, Grammatik und Wortbedeutung.
Die Frage ist damit vermutlich noch nicht hinlänglich beantwortet. Vor allem, da der Konstruktivismus ein (nicht nur) sozialwissenschaftliches Konstrukt ist, ein Kind postmodernen Denkens. Astrologie selbst ist jedoch weder als modern noch als postmodern zu sehen (vgl. dazu Nicholas Campion & Liz Greene, "Astrologies - Plurality and Diversity"), sie gehört einer ganz anderen Strömung an bzw. ist sie stets, je nach Zeitgeist, anders gedeutet worden.
- Frage: Meinst du damit, dass ich als Herr oder Frau meiner Konstruktionen diese selbstverständlich jederzeit verändern kann, sofern mir bewusst ist, dass es sich um eine Konstruktion handelt?
Hmm das Stundenhoroskop ist nicht nur eine Konstruktion meines Kopfes, es ist schon mehr, würde ich sagen. Das Transzendieren ist ein Prozess, der vor allem im Neuplatonismus angestrebt wurde, in der Überwindung der Planetensphären, um in die Fixsternsphäre aufzusteigen (vgl. Nicholas Campion, "The History of Western Astrology. The Ancient World", Vol. 1). Konkret beschrieben wird es jedoch nie.
Es ist aber denke ich wie folgt zu verstehen: Zeigt mir mein Stundenhoroskop, dass mein berufliches Vorhaben unter keinem guten Stern steht, so ist dies gerade eben nicht der Anlass, es bleiben zu lassen. Sondern der Aufruf, etwas zu tun, ähnlich, wie wenn man ein Orakel konsultiert: die Frage stellt bereits die Intervention dar. Ab nun kann ich handeln, wobei in der Mythologie sich die Orakelsprüche paradoxerweise immer dann erfüllten, wenn man versuchte, sie zu verhindern. Aber das ist ein anderes Kapitel
Angenommen, aus dem Chart geht hervor, dass Mars/Saturn mein Vorhaben blockiert. Im Radix stehen sie vielleicht in Haus 2, finanzielle Hürden, im Stundenhoroskop hat der Mond evtl. ein applikatives Quadrat auf Saturn, Herrscher von Haus 2. Da der Astrologe auch Magier oder Alchemist war, hat er daraufhin versucht, die Kräfte von Venus und Jupiter zu stärken. Dazu hat er an einem sogenannten "auspicious moment" einen Talisman aus Kupfer und Zink produziert, an einem Freitag, zur Venusstunde, mit der Venus in Stier, Waage, oder Fische, frei von den Übeltätern, nicht rückläufig und nicht verbrannt, am besten am AC oder MC. So wurde dann versucht, die negativen Einflüsse abzuwenden.
Dabei muss jedoch bedacht werden, dass diese "Intervention" auf Grund der strikten Anlehnung an die kosmische Ordnung als weiße Magie zu werten ist, da man sich an den Rahmen des Möglichen versucht zu halten. Kritisch wird es dann, wenn gegen die kosmische Ordnung bzw. gegen die kosmische Zustimmung ein solches Werk vollbracht wird, um sich zu bereichern - dann ist es schwarze Magie.
Das alchimistische Werk ist jedoch nicht nur ein physischer Prozess, sondern ähnlich dem Yoga aus Indien ein Bewusstseinsprozess. Denn durch die bewusste Herstellung des Talismans, durch die bewusste Auseinandersetzung mit der Thematik und dem entsprechenden physischen "Gleichnis", dem Ritual, soll eine Veränderung durch die Ebenen hindurch bewirkt werden.
Liebe Grüße,
Astro26